Geteilte Erinnerung

Das frühe Gedenken in Plötzensee ist stark vom Kalten Krieg geprägt. Nach Einführung einer eigenen Währung in den westlichen Besatzungs­zonen und der Berlin-Blockade durch die Sowjetunion verschärft sich im September 1948 der Ost-West-Konflikt: SED-Anhänger besetzen das Berliner Stadtparlament, worauf der nichtkommunistische Teil des Magistrats in die Westsektoren umzieht. Wenige Tage später versammeln sich seine Mitglieder und ausgewählte Gäste am „Tag der Opfer des Faschismus“ zu einer kleinen Gedenkfeier in Plötzensee. Demgegenüber feiert im Ost-Teil der Stadt die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ eine Großveranstaltung im Lustgarten. Es ist das erste Mal, dass der Gedenktag mit getrennten Veranstaltungen begangen wird.

Vorschlag für eine Gedenktafel

Ursprünglich plant der Magistrat am „Tag der Opfer des Faschismus“ nur eine Gedenktafel in Plötzensee anzubringen. Eine eigene Veranstaltung an der Hinrichtungs­stätte ist noch nicht vorgesehen. Dieser und auch spätere Tafel-Vorschläge mit Namen von Ermordeten werden nicht umgesetzt.

Am 9. September 1948 hält Ernst Reuter am Reichstag vor mehr als 300.000 Menschen seine große Freiheitsrede und appelliert an die „Völker der Welt“, West-Berlin nicht dem Kommunismus und der Sowjetunion preiszugeben. Drei Tage später findet der „Gedenktag für die Opfer des Faschismus“ statt, der unmittelbar von den Auseinander­setzungen zwischen Ost und West beeinflusst wird.

Die CDU-Zeitung „Der Tag“ berichtet auf ihrer Titelseite über den Gedenktag in Berlin. Das linke Foto oben zeigt die VVN-Veranstaltung im Stadtzentrum, rechts ist die Feier in Plötzensee mit Margarete Ehlert, Otto Suhr und Walter Löffler zu sehen.

Es ist die erste Gedenkfeier an dem historischen Ort nach 1945. An der kleinen Veranstaltung nehmen Angehörige von NS-Opfern sowie Vertreterinnen und Vertreter von städtischen Einrichtungen, Parteien und Organisationen teil. In den Reden wird mehrfach auf die Verpflichtung gegenüber den in Plötzensee Ermordeten hingewiesen, sich in der aktuellen politischen Situation für Frieden, Recht und Freiheit einzusetzen.

Ansprache in Plötzensee am 12. September 1948

Im Manuskript der Rede von Margarete Ehlert wird mehrmals die damals angespannte Lage in Berlin angedeutet. Neben den in Plötzensee ermordeten Männern geht die Stadträtin in ihrer Rede auch auf andere NS-Opfer ein und erwähnt insbesondere die Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Margarete Ehlert 23. Juni 1886 – 2. Dezember 1963

Margarete Ehlert wirkt bis 1934 als Direktorin in der Reichsanstalt für Arbeits­vermittlung und Arbeitslosen­versicherung. Die Nationalsozialisten verdrängen sie in den Ruhestand. Danach ist sie Leiterin der sozialen Arbeit (Caritas) und im Katholischen Deutschen Frauenbund tätig. Von Dezember 1946 bis Januar 1949 wird die CDU-Mitbegründerin Stadträtin und Leiterin der Abteilung Sozial­wesen des Magistrats von Berlin. Damit untersteht ihr das „Hauptamt Opfer des Faschismus“, das im September 1948 die erste Gedenkfeier an der ehemaligen Hinrichtungs­stätte organisiert. Margarete Ehlert hält hier als erste und für lange Zeit einzige Frau eine Ansprache zum Gedenken der Opfer des National­sozialismus.

Filmsequenzen von der ersten Gedenkfeier im Jahr 1948

Von der Gedenkfeier in Plötzensee am 12. September 1948 existiert unbearbeitetes und nicht-vertontes Filmmaterial, das für die Wochenschau „Welt im Film“ angefertigt wurde.

Die Ausschnitte zeigen zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung sowie die Kranzdelegationen auf dem Weg zur ehemaligen Hinrichtungsstätte. Die Ansprachen werden von der Schriftstellerin Hilde Körber, Margarete Ehlert, Walter Löffler und Otto Suhr gehalten.

Erkennbar sind die Zerstörungen an den Gebäuden. Zum Ende des Films sind zudem ein Teil der Seitenwand und ein Bereich des Schuppens ohne Dach zu sehen. Dieser Bereich links neben dem Eingang zum Hinrichtungsraum wird später abgerissen und ist heute nicht mehr sichtbar.

Nach der offiziellen Spaltung der Stadtverwaltung führt der westliche Magistrat, später der Senat von Berlin, seine Gedenkfeiern für die Opfer des National­sozialismus weiterhin an der ehemaligen Hinrichtungs­stätte durch. Auf diesen Feiern grenzt sich der Westteil der Stadt von den Kundgebungen im östlichen Sektor Berlins ab. Die Ankündigung für die Veranstaltung am 11. September 1949 betont, diese solle ein „Gegengewicht“ zur Massen­kundge­bung im Ost-Berliner Stadtzentrum sein. Auf der Feier in Plötzensee sprechen später Bürgermeister Ferdinand Friedensburg, der Stadt­verordneten­vorsteher Rudolf Markewitz und der ehemalige Gefängnispfarrer Harald Poelchau.