Gisela Dietrich

10. Juni 1920, Elberfeld – 21. Dezember 1943
Die Tochter eines Mechanikers erlernt nach der Volks­schule das Schneiderhandwerk und arbeitet anschlie­ßend einige Zeit in Damenbekleidungsgeschäften. Ab Ende der 1930er Jahre ist Gisela Dietrich wiederholt in Mädchenheimen untergebracht.
Im Juni 1943 lernt sie wohnungslos in Köln den Nieder­länder Ludolf Grimm kennen, der ihr Lebensge­fährte wird. Beide geben sich in der Folgezeit in Köln und Wuppertal als Bombengeschädigte aus, um in den Bezug von falschen Dokumenten, Bargeld und Lebens­mittelmarken zu kommen.
Gisela Dietrich und Ludolf Grimm werden am 25. August 1943 festgenommen und am 12. November 1943 vom Sondergericht III beim Landgericht Berlin nach der „Volks­schädlingsverordnung” wegen „Kriegswirt­schafts­verbrechen” zum Tode verurteilt. Ihre Gnadengesuche werden abgelehnt und Gisela Dietrich und Ludolf Grimm am 21. Dezember 1943 in Plötzensee ermordet.

Dokumente

Anklageschrift des Sondergerichts III Berlin gegen Ludolf Grimm und Gisela Dietrich, 16. Oktober 1943

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II 17154

Bln-Charlottenburg 5, den 5.9.1943

Mein lieber Rudi!
Zum Sonntag sende ich Dir die herzlichsten Grüsse. Nun, wie geht es Dir denn? Hier in meiner Einsamkeit, geht mir alles durch den Kopf. Wie kurz war die Zeit, und wie lange müssen wir jetzt büssen. Habe auch einen Brief dem Rechtsanwalt geschrieben, ihn gebeten baldmöglichst zu mir zu kommen. Wir haben ja allerhand geleistet, wo wir Strafe für verdient haben. Jeden Abend gehe ich mit der Hoffnung schlafen, dass die Gerichtsherren Milde walten lassen. Wenn wir beide unsere Strafe verbüsst haben, bauen wir uns ein schönes, zufriedenes, glückliches Leben auf. Wir arbeiten u. sparen zusammen, dass wir uns ein Heim gründen können. Nach so einer langen trennung

ist die Sehnsucht noch viel grösser und die Liebe inniger u. herzlicher. Jeden tag sind meine Gedanken bei Dir mein Liebling, dein Bild habe ich immer vor Augen. Abends wenn ich schlafen gehe, rufe ich Dir in Gedanken Gute Nacht zu. Das eine steht mir vor Augen, mit der Polizei will ich nie mehr was zu tun haben. Den Vorsatz musst auch Du haben nicht wahr? Das musst Du mir versprechen. Das es mir nicht zu langweilig wird, habe ich Arbeit bekommen u. zwar stricke ich eine Weste. Die Zeit geht schneller um u. man denkt nicht so viel. Das Essen ist gut. Die Beamtinnen sind sehr nett. Beklagen kann man sich nicht. Alle 14 tage habe ich Schreiberlaubnis. Denkst Du auch mal an die schöne Vergangenheit zurück u. an unsere grosse Liebe. Eine Bitte habe ich an Dich mein Liebling, lass auch Du was von Dir hören wie es Dir ums Herze ist. Wir hoffen doch beide auf eine baldige Erlösung. Das eine ist felsenfest. Ich warte auf

Dich, ist gleich wie lange es dauert. Meine Liebe zu Dir, wird durch diese trennung immer grösser. Ich habe Dich in mein Herz eingeschlossen, bin auch der Überzeugung, dass es bei Dir genau so ist. Wir sind bis jetzt durch dick u. dünn gegangen u. werden es auch weiterhin tun.
Jetzt gibt es Mittagessen, gleich werde ich weiterschreiben.
Ich bin wieder gesättigt u. möchte noch etwas mit Dir plaudern. Eines möchte ich Dir noch ans Herz leben, Kopf hoch und tapfer sein, das sage ich mir jeden tag vor, es ist meine Parole u. muss auch deine sein, nicht wahr, mein Liebling. Was man sich einbrockt, muss man auch ausfressen. Meine Freiheitstage in meinem Leben kann man zählen. Aber im Gefängnis sitze ich jetzt zum erstenmal. Es ist gleichzeitig auch zum letztenmal. Bis heute habe ich noch nichts von meinem Leben gehabt. Wenn wir unsere Strafe verbüsst haben, wird alles anders. Ich hoffe, das dann das Schiksal gnädiger mit uns ist.

Mit dem Bewusstsein sehen wir beide in die Zukunft, dass nach dieser Zeit für uns auch wieder die Sonne scheint. Das beruhigende Gefühl habe ich, dass wir beide an einem Strang ziehn. So lässt es sich wenigstens einigermassen ertragen. Ja mein Liebling, so geht es im Leben. Werde nun mein Schreiben schliessen, mit der Hoffnung, dass ich auch bald was von Dir höre,
grüsst Dich in Liebe u. Sehnsucht deine nur Dichliebende u. treubleibende Gisela!

Zum Schluss noch viele herzliche innige Küsse dein Liebling!

Auf Wiederhören in 14 tagen.


Brief von Gisela Dietrich an Ludolf Grimm aus dem Gerichtsgefängnis Charlottenburg, 5. September 1943

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II 17155

Ablehnung der Begnadigung von Ludolf Grimm und Gisela Dietrich durch den Reichsjustizminister, 8. Dezember 1943

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II 17152

Schreiben des Generalstaatsanwalt bei dem Landgericht Berlin über die Hinrichtung von Ludolf Grimm und Gisela Dietrich, 20. Dezember 1943

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II 17155

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