Artur Ulrich

10. Januar 1897, Berlin – 18. April 1941
Artur Ulrich, der seit seinem 12. Lebensjahr in Erzie­hungs­heimen aufgewachsen ist, meldet sich mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 freiwillig an die Front und wird schwer verwundet. Ab 1925 arbeitet er vorwiegend als Hausdiener, Bauarbeiter und Gärtner.
Artur Ulrich begeht verschiedene Eigentumsdelikte und wird schließlich zu einer Zucht­hausstrafe von fünf Jahren verurteilt, die er bis Dezember 1939 verbüßt. Im Oktober 1940 wird er erneut in Haft genommen. Ihm werden mehrere Diebstähle vorge­worfen. Zudem soll er wieder­holt Geldbeträge erschwindelt haben, indem er den Geschädigten die Beschaffung knapper Lebensmittel versprochen, dann jedoch nicht geliefert hat.
Artur Ulrich wird am 21. Februar 1941 vom Sonder­gericht I beim Landgericht Berlin auf der Grundlage der „Volksschädlingsverordnung” zum Tode verurteilt.
Nach der Ablehnung seines Gnadengesuchs wird er am 18. April 1941 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee ermordet.

Dokumente

Gefangenenkarte von Artur Ulrich

Landesarchiv Berlin A Rep 369 Kartei

Berlin-Plötzensee, den 11 März 1941
Absender: Artur Ulrich
Gefängnis III Abtl. 7/282
Beiliegend ein Brief von Frau Romyke. [?]
Aktenzeichen: Sond. I P.R.L.S. 27/41 (36/41)


An
Seiner Exzelenz den Herrn Reichskanzler u. Führer des Deutschen Volkes Adolf Hitler
in Berlin W.
Voßstr. 4.


Gnadengesuch!
des am 21. Februar 1941 vom Sondergericht I wegen Betruges zum Tode Verurteilten Bauarbeiters Artur Ulrich.
Begründe mein Gesuch, wenn ich meinen Lebenslauf nachfolgend niederschreibe.
Wurde am 10.1.1897 zu Charlottenburg geboren. Mein Vater war dortselbst Gastwirt. Hatte noch weitere 7 Geschwister, ich war der Jüngste. Schon mit 5 Jahren verlor ich meinen Vater im Alter von 42°Jahr. Er starb an Leberverhärtung.
Nun führte meine Mutter das Geschäft mit Hilfe meiner Schwester. Vater hatte viel Schulden hinterlaßen das wußte die Mutter nicht, erst nach seinem Tode kamen die Gläubiger. Er hatte gesagt, daß alle Ware bezahlt die geliefert, ist aber nicht der Fall gewesen. Dieses erzählte mir die Mutter kurz vor ihrem Tode im Jahre 1940 und bedauerte mich, daß ich diesen Leichtsinn ebenso mein Bruder Walter, vom Vater geerbt hätten.
Ein Bruder der älteste starb in Lübben i/L. in der Idioten-Anstalt mein Bruder Walter an Lungen T.B.C. in Hanover Heilstätten.
Ich ging zur Schule in der 15 Gemeindeschule Charlottenburg. Der erste Schulgang war gleich so, daß ich hinter eine Kuh herlief und so hinter die Schule ging. Jedenfalls war mein Mitleid mit andere Leute sehr groß. In unserem Hause wohnte eine Familie Namens Raddatz da war der Vater Krüppel u. 6°Kinder.

Die hatten viel Hunger und nichts Anzuziehen. Ich war nun derjenige, der da wir viel hatten, einfach Lebensmittel und Wäsche von Daheim fort nahm und es den Leuten gab. Auch mit eine Familie Sprockhoff habe ich es auch so gemacht. Verschenkte an die Gäste Zigarren + Zigaretten u. s. w. Dann kam ich mal nachhause und erzählte, daß in der Schule die Krätze wäre und wir 6 Tage frei hätten.
Dieses alles sah meine geliebte Mutter mit Sorgen. Sie selbst war durch das Geschäft zu sehr überladen konnte mich nicht so beaufsichtigen und da stellte sie durch Einfluß meiner Schwester und deren zukünftigen Mann den Antrag, mich in die Fürsorge zu bringen.
Mit genau 12 Jahr kam ich nach Strausberg in die Brandenburgische Provinzial Schul u. Erziehungsanstalt. Wurde dort Eingesegnet und kam dann ins Lehrlingsheim auf die andere Straßenseite und erlernte dort das Gärtner handwerk.
Was ich dort Erduldet u. Ertragen kann ich hier leider wegen mangel an Schreibpapier nicht niederschreiben. Aber das ich schon mit 12 Jahren nur weil ich aus Heimweh fortgelaufen bin genau ½ Stunde, - 10 Tage dunkel Arest bekommen habe und 20 Hiebe mit den Rohrstock auf den Hintern das ist meine Pflicht. Auch das ein Beamter sich Jahrelang in Sexueller Hinsicht sich auf das gemeinste Vergangen hat, daß will ich hier noch nebenbei erwähnen. An Schulkinder von 12 Jahr an und dafür gab es Brot mit Schmalz - - und solang wie das Geschlechtsteil - - solang war die Wurst dazu. - - !!
Der Leiter der Anstalt Herr Pfarrer Seifert, der die Strafen verhängt und stets dabei gestanden, wurde auf Grund einer gegen ihn erstatteten Anzeige aus Amt u. Würden gestoßen ich war damals gerade Soldat. So war

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also dort die Erziehung davon noch Stundenlang. Und vorallem kann ich noch Beweise bringen da viel der Leute noch Leben aus dieser traurigen Zeit.
Na jedenfalls 1914 brach der Krieg aus und auch ich meldete mich Freiwillig. Am 9 August 1914 trat ich ein beim 2. Garde Regt. z. Fuß. Im Oktober 1914 rückten wir aus ins Feld nach Frankreich vor Arras. Weiter wie nachstehend folgt: „Kämpfe bei Arras (l Verwundet Armschuß)
Verschüttet: Lungenquetschung - Wirbelfraktur Lazarett Würzburg nur 8 Wochen auf eignen Wunsch zur Garnison. Im APril 1915 ging die Fahrt ab nach Rußland. Erst Garde Ersatz nach Karpathen - aber nachher zum 21 A.K. 42 Inft. Div. Inft. Regt. 139 6 Komp.
Kämpfe: Wilkovischky; Mariampol; Kalwaria; Kowno-Krodnow, Oranie - Boenny - Oliba - Willna - und vor Dunaburg wurde ich von einer Granate erfaßt und 20 meter durch die Luft geschleudert, wie Augenzeugen gesagt. Kam - vielmehr fand ich mich wieder in - Kowno im Lazarett und wurde von dort, laut Obermillitärärztlicher Untersuchungskommission wegen Epelepsie und Schreckneurose der Garnison überwiesen als dauernd A.V.H. zur weiteren Lazarett-Behandlung. Kam nach Münster i/Westf. ins Garnisonlazarett und wurde da von dem Irrenarzt Dr. Döppen Behandelt. Aber schon nach 7 Monat meldete ich mich das 2 mal

2 mal als Kriegsfreiwilliger! Wieder nach Rußland nur kurze Zeit. Elsäßer bleiben in Rußland - wir zum andern Regt. Inft. Rgt. 60. 11 Komp. fliegende Division ab nach Frankreich. Die einzelnen Namen sagen das weitere: „Kompreshöhe (Verdun) Zonebeke - Amiens - Armentiers - Morslede - (Gasvergiftung)
In der zwischenzeit hatte ich bei großer Patroulie 2 Kameraden das Leben gerettet wurde Gefr. (das E.K. II hatte ich schon) und wurde laut Divisonsbefehl acht tagelang vor allen Regt. öffentlich belobigt. Diese Gasvergiftung ist mir auf die Lunge geschlagen ich merkte es erst nach Jahren. Genau wie mit der Schreckneurose auf den Kopf (Leide heut sehr darunter) Fuhr kurz in Urlaub und meldete mich das 3 mal Freiwillig und d akam der beliebte „Kemelberg“ Wir lagen vor den Scherbenberg - also am Dualbach 14 tagelang ein leichter Armschuß sowie etliche Granatsplitter machten das dritte mal Freiwillig auch ein Ende.
Jedenfalls habe ich noch viel Patroulien außerdem mitgemacht und war oft als Melder vom K.T.K. zum Regt. Stab von da zur Brigade. Bei Zonebecke bin ich ganz allein wieder zurück gekommen.
Oberleutnant Keller sowie von Hülsen haben bei den zwei Gewalts Patroulien beide das E.K. I bekommen wir Urlaub.
Alle meine Kompanieführer sowie Regt.Kommandöre würden mir nur das allerbeste Zeugnis ausstellen noch viel mehr meine Kameraden.
Nach dem Kriege war ich noch Soldat bis April 1919. bei Schutzwehr Charlottenburg nachher Lettow-Vorbeck in Miechendorf und Jüterbok erst als wir uns

Artur Ulrich Bogen No. 3 Berlin-Plötzensee, den 11 März 1941

uns auf 15 Jahre verpflichten sollten, war es beim Militär vorbei. Arbeit gab es damals leider nicht. Ich fuhr nach Oberschlesien nach Nislowitz, Kattowitz u.s.w. - dort war auch nichts, zurück nach Berlin. Hier wurde ich nun das erste mal Straffällig - und nachher leider noch öfter wie die Strafakten ergeben.
Ich habe diese meine Straftaten direkt Leichtsinnig begangen - denn stets ging ich zu Bekannten oder Verwanten, also war ich ja sofort der Polizei ausgeliefert. Ich dachte die würden es nicht Anzeigen und ihre Wagen bekommen sie wieder oder Mutter bezahlt. Dachte stets, daß wir Vermögen haben. Zudem habe ich das Geld an Notleidende verschenkt sogar auch meine Sachen vom Leibe wie Mantel und Anzug. Eine Familie Fedler 7 Kinder wo die Mutter an Frühgeburt im Sterben lag, habe ich mit Geld u.s.w. geholfen - die Frau lebt.!
Ich habe auch nie nein niemals irgend eine Strafbare Handlung begangen, wo ich Gewalt angewendet habe oder besonders Raffiniert vorgegangen bin - stets habe ich meinen Namen genannt und mein Gesicht gezeigt und mich somit selbst der Polizei ausgeliefert. Wäre ich nun so ein Gewaltverbrecher, dann hätte ich bestimmt andere Sachen gemacht. Mit den Fall im Sportpalast war ich leider selbst der betrogene Betrüger u. habe dafür eine sehr harte Strafe verbüßen müssen. Von 1925 an bis zum Jahre 1933 habe ich gearbeitet in Akkord auf den Bau als Steinträger in den Ausstellungshallen als Gärtner u. Hausdiener und niemals etwas unrechtes begangen. Lebte glücklich mit meine Frau u. den Kindern denn ich hatte zwei Jungens mit geheiratet. u. 1929 schenkte mir die Frau ein liebes Mädchen. Im Jahre 1933 wurde ich zweimal auf Anomyme Anzeige hin Verhaftet im Hause blamiert und da fing das Elend an. War damals Unschuldig.

Habe niemals während meiner Strafverbüßung irgend eine Hausstrafe gehabt sondern war stets durch Fleiß u. Sauberkeit andern ein Vorbild. Hatte auch darum Verantwortungsvolle Arbeit: z. B. in Plötzensee in der Küche als Brotschneider u. Lebensmittel Ausgeber - in Gollnow i/Dam war ich 2 ¾ Jahr auf Bauernkomando als Gärtner - habe dort für die armen Kinder abends Spielsachen gemacht zur Weihnacht.
Mein Leben war von Jugend an - Elend, Sorgen, Hunger und Entbehrungen u. trotzdem ich soviel durchgemacht habe, da kommt es manchmals o über mich. Ich muß fort und laufen wandern ruhelos treibt es mich umher. Zeugen meine gesch. Frau sowie Frau Romeyke (von der ich ein Brief mit Beilege) sowie auch deren Schwester Frau Becker. Nein ich bin nicht Normal kann nicht Normal sein denn ein Normaler Mensch macht soetwas nicht - zumal wenn er so glücklich lebt wie ich gelebt habe - Ein gutes liebes Frauchen u. Kinder Arbeit ein sonniges Heim u. verlasse das ohne Grund und mache solche Dummheiten nein ich bin nicht Normal. Ich habe nun bei meiner Vernehmung alles selbst angegeben u. viel Anzeigen gegen mich erstattet so das die Leute gesagt haben: „Warum giebt Artur das an; der hat wohl einen Vogel wir hätten unser Geld schon bekommen u.s.w. Mir tut das von mir begangene Unrecht von ganzem Herzen u. aufrichtig Leid u. bereue es bitter u. schmerzlich.
Ich habe eine harte sehr harte Strafe verdient - abe4r ich Bitte höflichst um meiner Tochter sowie Frau Romeyke ihre Kinder die mich alle Lieb u. Gern haben, - doch von dieser Grausamen - Schrecklichen Strafe den Tod abstand zu nehmen - denn es ist doch für die Kinder eine fürchterliche Erinnerung. Auch bin ich durch den Krieg, mit einem Lungenleiden behaftet (z. Zt. sehr schlimm) so das mein Leben sowieso nur kurz bemessen ist wie der Arzt sagt. Außerdem hätte ich auch gern an den großen Sieg teilgenommen für den ich damals mein junges Leben eingesetzt u. mein Blut vergossen.
Bitte nochmals höflichst um Gnade u. sollte dieses nicht der Fall sein dann bitte ich nach dem Tote mein Gehirn untersuchen zu lassen - damit der Beweis erbracht wird, daß ich schon lange krank.
Hochachtungsvoll Artur Ulrich.

Gnadengesuch von Artur Ulrich, 11. März 1941

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 12 C Berlin II, Nr. 6350/2

Sterbeurkunde von Artur Ulrich vom 18. April 1941

Ancestry, Archiv zur Ahnenforschung

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