Nikolaus Groß

30. September 1898, Niederwenigern – 23. Januar 1945
Nikolaus Gro<span>ß</span>

Nikolaus Groß

Katholische Arbeitnehmerbewegung Deutschland, Diözesanverband Köln

Nikolaus Groß wächst im Ruhrgebiet in der Familie eines Schmieds auf und arbeitet seit 1915 im Bergbau. 1917 wird er Mitglied des Gewerkvereins christlicher Berg­arbeiter. Er übernimmt Aufgaben als Gewerkschafts­sekretär in Oberhausen, Schlesien und Sachsen, kehrt aber 1924 ins Ruhrgebiet zurück. Seit 1923 ist er mit Elisabeth Koch verheiratet, mit der er sieben Kinder hat. Ab 1926 wird Groß ein wichtiger Mitarbeiter des Zentrumspolitikers und Präses des Westdeutschen Verbandes der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) Otto Müller. 1927 übernimmt er die Schriftleitung des Verbandsorgans der KAB, der „Westdeutschen Arbeiter­zeitung”, und arbeitet eng mit dem christlichen Gewerkschafter Bernhard Letterhaus zusammen.
Beide beziehen bereits vor 1933 Stellung gegen den Nationalsozialismus. Nach zeitweisem Verbot erscheint die „Westdeutsche Arbeiterzeitung” ab 1935 unter dem Namen „Ketteler-Wacht“ und wird 1938 endgültig verboten. Groß, der ab 1941 in der Männerseelsorge arbeitet, versucht die Verbandsarbeit des KAB fortzu­setzen. Als Angehöriger des Kölner Kreises, einem Netzwerk aus KAB-Vertretern, christlichen Gewerk­schaftern und Zentrumspolitikern im Rheinland und Westfalen, steht er ab 1942 in Kontakt zu Carl Goedeler aber auch zu Vertretern des Kreisauer Kreises.
Nach dem 20. Juli 1944 werden seine Verbindungen zu Carl Goerdeler und Jakob Kaiser bekannt. Am 12. August 1944 wird er festgenommen und am 15. Januar 1945 vom „Volksgerichtshof” zum Tode verurteilt. Im Gefängnis Berlin-Tegel kann ihn seine Frau Elisabeth gegen alle Vorschriften ein letztes Mal sehen.
Nikolaus Groß wird am 23. Januar 1945 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee ermordet.

Dokumente

Nikolaus Groß vor dem „Volksgerichtshof”, 15. Januar 1945

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Berlin-Tegel, den 21.1.45

Herzallerliebste Mutter!
Ihr lieben und guten Kinder!

Es ist St. Agnestag an dem ich diesen
Brief schreibe, der, wenn er in Eure
Hände kommt, zusammen mit einem anderen
Brief, den ich im November schrieb, Euch
künden wird, daß der Herr mich gerufen
hat. Vor mir stehen Eure Bilder und ich
schaue jedem lange in das vertraute
Angesicht. Wieviel hatte ich noch für Euch
tun wollen – der Herr hat es anders
gefügt. Der Name des Herrn sei gepriesen.
Sein Wille soll an uns geschehen. Fürchtet
nicht, daß angesichts des Todes großer Sturm
und Unruhe in mir sei. Ich habe täglich
immer wieder um die Kraft und Gnade
gebeten, daß der Herr mich und Euch stark

2)

mache, alles geduldig und ergeben
auf uns zu nehmen, was er für uns
bestimmt oder zugelassen. Und ich spüre,
wie es durch das Gebet in mir still und
friedlich geworden ist.
Mit inniger Liebe und tiefer Dankbarkeit
denke ich an Euch zurück. Wie gut ist doch
Gott und wie reich hat er mein Leben gemacht.
Er gab mir seine Liebe und Gnade und er
gab mir eine herzensliebe Frau und gute
Kinder. Bin ich Ihm und Euch dafür nicht
lebenslangen Dank schuldig? Habt Dank, Ihr
Lieben, für alles, was Ihr mir erwiesen. Und
verzeiht mir, wenn ich Euch weh tat oder
meine Pflicht und Aufgabe an Euch schlecht
erfüllte. Besonders Dir, liebe Mutter muß ich
noch danken. Als wir uns vor einigen Tagen
für dieses Leben verabschiedeten, da habe ich,
in die Zelle zurückgekehrt, Gott aus tiefem
Herzen gedankt für Deinen christlichen Starkmut.
Ja, Mutter, durch Deinen tapferen Abschied hast


3)

Du ein helles Licht auf meine letzten
Lebenstage gegossen. Schöner und glücklicher
konnte der Abschluß unserer innigen Liebe
nicht sein, als er durch Dein starkmütiges
Verhalten geworden ist. Ich weiß: Es hat Dir
und mir große Kraft gekostet, aber daß uns
der Herr diese Kraft geschenkt, dessen wollen
wir dankbar eingedenk sein.
Manchmal habe ich mir in den langen
Monaten meiner Haft Gedanken darüber
gemacht, was wohl einmal aus Euch werden
möge, wenn ich nicht mehr bei Euch sein könnte.
Längst habe ich eingesehen, daß Euer Schicksal
gar nicht von mir abhängt. Wenn Gott es so
will, daß ich nicht mehr bei Euch sein soll, dann
hat er auch für Euch eine Hilfe bereit, die
ohne mich wirkt. Gott verläßt keinen, der Ihm
treu ist und er wird auch Euch nicht verlassen,
wenn Ihr Euch an Ihn haltet.
Habt keine Trauer um mich – ich hoffe, daß
mich der Herr annimmt. Hat er nicht alles
wunderbar gefügt. Er ließ mich in einem
Hause, in dem ich auch in der Gefangenschaft
manche Liebe und menschliches Mitgefühl empfing.


4)

Er gab mir über fünf Monate Zeit –
wahrlich eine Gnadenzeit – mich auf die
Heimholung vorzubereiten. Ja, er tat viel
mehr: Er kam zu mir im Sakrament,
oftmals, um bei mir zu sein in allen Stürmen
und Nöten, besonders in der letzten Stunde.
Alles das hätte ja auch anders sein können.
Es war nur ein Kleines dazu nötig, ich brauchte,
wie viele andere nach dem Angriff vom 6.10.
nur in ein anderes Haus verlegt werden, und
ich hätte vieles und Entscheidendes nicht empfangen.
Muß ich nicht Gottes weise und gnädige Fügung
preisen und Ihm Dank sagen für Seine Güte
und väterliche Obhut? Sieh‘, liebe Mutter, so
menschlich schwer und schmerzlich mein frühes
Scheiden auch sein mag – Gott hat mir damit
gewiß eine große Gnade erwiesen. Darum
weint nicht und habt auch keine Trauer; betet
für mich und danket Gott, der mich in Liebe
gerufen und heimgeholt hat.
Ich habe für jeden von Euch ein
Spruch- oder Andachtsbildchen mit
einem persönlichen letzten Wort versehen.

5)

Möge es Jedem eine kleine Erinnerung
sein, auch zu der Bitte, mich im Gebet nicht
zu vergessen.
Eine große Freude war mir das Sterbe-
kreuz und der Rosenkranz, den Du, liebe
Mutter, mir in die Zelle schicktest. Ich
trage das Kreuz Tag und Nacht auf der Brust
und auch der Rosenkranz ist mein ständiger
Begleiter. Ich werde Sorge tragen, daß Beides
in Deine Hände zurückkommt. Auch sie werden
Dir Gegenstand lieber Erinnerung sein. –
Nun habe ich meine irdischen Angelegen-
heiten geordnet. Die Tage und die Stunden,
die mir bleiben, will ich ganz dem Gebet
hingeben. Gott möge sich meiner armen
Seele erbarmen und Euch immerdar mit
seinem Segen und seiner Gnade begleiten.
In der Liebe Christi, die uns erlöste und
unsere ganze Hoffnung ist, segne ich Euch:
Dich, liebste, gute Mutter, Dich Klaus und Dich
Berny, Dich Marianne und Dich Elisabeth, Dich


6

Alexander, Dich Bernhard und Dich Leni. Ich
grüße noch einmal alle teuren Verwandten,
meinen Vater und Schwiegervater, meine
Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen mit
ihren Kindern, alle Verwandten, Freunde und
Wohltäter.
Gott vergelte Euch, was Ihr mir Liebes
und Gutes getan habt. Im Vertrauen
auf seine Gnade und Güte hofft auf
ein ewiges Wiedersehen in seinem Reiche
des Friedens

Euer
Vater.

Abschiedsbrief von Nikolaus Groß an seine Familie, der als Kassiber aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde, 21. Januar 1945

Privatbesitz

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