Ernst Hirning

9. Mai 1913, Berlin-Schmargendorf – 7. September 1943
Ernst Hirning

Erkennungsdienstliches Foto von Ernst Hirning

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II, Nr. 1284

Ernst Hirning erkrankt in seiner Kindheit an einer Hirnhautentzündung, die verschiedene Behinderungen zur Folge hat. Er verbringt den größten Teil seines Lebens in Heimen und wird über mehrere Jahre im Arbeitshaus Rummelsburg zwangsweise untergebracht. Seit 1940 lebt und arbeitet er in den Hoffnungstaler Anstalten in Lobetal, wo er intime Beziehungen und Freundschaften zu anderen Männern unterhält.
Nach einer Denunziation kommt es ab Oktober 1942 zu umfang­reichen Ermittlungen durch das Homosexuellen­referat der Berliner Kriminalpolizei in deren Rahmen auch Ernst Hirning festgenommen wird. In den folgenden Monaten werden mehr als 30 Männer verurteilt.
Der Generalstaatsanwalt beim Landgericht Berlin erhebt im April 1943 Anklage gegen Ernst Hirning, Hans Heinrich Festersen, Fritz Lemme und Friedrich Riemann. Obwohl bei ihnen von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen wird und sie nicht vorbestraft sind, werden die vier Männer am 13. Juli 1943 vom Sondergericht V beim Landgericht Berlin wegen „widernatürlicher Unzucht” als „gefährliche Gewohnheitsverbrecher” zum Tode verurteilt.
Auch der Einsatz des Leiters der Hoffnungstaler Anstalten, Pfarrer Paul Gerhard Braune, kann eine Hinrichtung nicht verhindern.
Friedrich Riemann, Hans Heinrich Festersen, Fritz Lemme und Ernst Hirning werden während der sogenannten Blutnächte am 7. September 1943 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee ermordet.

Dokumente

Anschreiben zur Anklage gegen Friedrich Riemann, Ernst Hirning, Fritz Lemme sowie Hans Heinrich Festersen, 27. Mai 1943

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II, Nr. 1284

An
den Führer des deutschen Volkes
_____Führerhauptquartier_____

Gnadengesuch

Mein Führer! Als ein sündiger Mensch, schreibe ich an Sie und möchte hiermit mein Fehler, den ich, gegen das Gesetz, welches mir erst jetzt in der Untersuchungshaft, richtig aufgeklärt wurde, das dieß strafbar ist, hier nieder schreiben. Ich bereue aus aller tiefsten Herzen, daß ich gegen das Gesetz wegen Sitlichkeit Vergehen und Verbrechen mich so strafbar gemacht habe.
Mein Führer! Ich möchte Ihnen hier kurz mein Lebenslauf schildern.
Ich wurde als unhe unehelicher Mensch am 9. Mai 1913 zu Berlin Schmargendorf Warmbrunnerstr 50 geboren. Meine Mutter heißt Christiane Hirning Beruf Kellnerin, jetzt wohnhaft, am Reihe Ludwigshafen Kanalstr 83. Mein Vater Rechtsanwalt Dr. Karl Ludwig Scherher, jetzt wohnhaft, München München 8 Mein Leben begann von frühster Kindheit nur Anstalten und Heime. Ein Elternhaus mit der Verbunderne Fürsorge und Liebe habe ich nicht kennen gelernt. Als Kleinkind habe ich eine Gehirnhautentzündung durch gemacht, welche sich auf meiner linke Seite geschlagen hat und diese durch die Krankheit, erst gelähmt wurde. So kam ich zuerst nach „Adler Helma“ Heim in Dalem. Nach dem kam ich nach Magdeburg Crauen in den Pfüfrichen Anstalt. Habe dort meine Schuljahre verbracht und wurde am 1.4.28. Eingesegnet. Ich erlernte nicht ganz einen Beruf. Angefangen habe ich mit Stahlpflechter, trotzdem die linke Seite verkrüppelt ist, kann ich Stühle pflechten, nebenbei lernte ich Körbe pflechten und Bürsten binden, noch was ich alles mit der einen Hand vertig brachte. Ungefähr nach einem Jahr kam ich nach Lichtenrade in einem Jugendheim „Tannenhof“. Dort half ich im Haushalt, dann kam ich nach der Gärtnerei wo ich pflanzen lernte, auch erlernte ich das Graben so wie anders



arbeiten mit der gesunden Hand, denn ich wollte mich immer nützlich machen mit meiner einen Hand. Dann kam ich in das Büro, wo ich als Laufjunge tätig war. Von da aus, kam ich in Pflege, bei einem Bauern. Dort habe ich Gänse gehütet. Als dies vorbei war, kam ich nach Stolberg b/Küstrin in das „Stranderhaus“ dort half ich wieder im Garten pflanzen, Harken, Graben. u.s.w. was sonst noch
Gartenarbeit anbetrift. Dann kam ich in einer Kaninchen-Angorazucht rein, dies machte mir sehr viel Freude. Kurz nach dem kam ich wieder nach Berlin. Ich kam dann nach Rummelsburg Bewahrungshaus, war aber nicht als Strafe da. Dort habe ich wieder Haus wie Gartenarbeit verrichtet. Da kam ich in einer Bastelstube, wo ich für das W.H.M. Spielsachen gebastelt habe. Von dort aus kam ich nach Lobetal über Bernau b/Bernau Berlin. Hier arbeitet ich wieder im Garten und Plantagen, wo ich mir immer nützlich trotzdem ich körperlich behindert war, so weit machen wollte, um mein Vaterland zu helfen. Wenn ich gesund gewesen wäre, hätte ich mich schon längst bei den Soldaten gemeldet, daß war und ist noch heute mein Wunsch innerlich. Dieses hatte ich auch den Gericht in Moabit geschrieben. Meine einseitige Lähmung der linken Seite hindert mir nicht im geringsten, sondern ich fühle mich so, wie ein gesunder Mensch der arbeiten will und kann. So habe ich nun mein Leben bis jetzt in den Anstalten und Heime verbracht. Ich war mir nie bewußt gewesen, so eine Strafbarhandlung getan zu haben und bereu und büße es sehr mich dadurch jetzt so strafbar getan zu haben und möchte ich Sie jetzt mein Führer aufs herzlichste bitten und mir glauben zu schenken, was ich hier niederschreibe, nicht nur in Worten, sondern in Taten will ich es um setzen, so bald ich von dieser hohen Strafe, um derent ich Sie um Gnade bitte und um Ihre Liebe welche Sie für Ihr Deutsches Volk haben. Ich habe das Gesetz welches auch unter Strafe gestellt ist, übertreten und zwar das Gesetz wegen Sittlichkeit Vergehen und Verbrechen. Hiermit möchte ich auch einen kleinen Überblick vorüber werfen, wie ich zu diesen Taten kam wo man mir jetzt so hart bestraft hat, und mir dieses alles in den 9 Monaten zur bewußt sein kam und sehr oft des Nachts schlecht geschlafe hab, weil ich so gesündigt haben sollte. Es soll nie wieder vorkommen, darum bitte ich Sie mir noch einmal befhilflich zu sein.

Es war am 12.10.42 um 9 Uhr in Lobetal über Bernau b/Berlin, als man mir fest nahm, am 18.10.42 kam ich in das Untersuchungshaft Berlin Plötzensee Königsdamm 7. Hier kam mir erst alles zum Bewußtsein, was ich getan haben sollte. Ich machte mir immer wieder Gedanken wie ich das nur wieder gut machen könnte. Ich hatte mir fest genommen so wie ich meine Strafe verbüßt habe, nie wieder mich mit solchen Gedanken und solcher Sacher zu tun haben will, ein anständiger strebsamer und fleißiger Mensch zu werden. Immer wieder nachgedacht wer kann mir das verzeihen, doch nur Sie mein Führer.
Da kam es zum Termin. Ich war am 12.10.42 in Haft genommen bis zum 12.7.43 war ich in der Untersuchungshaft. Am 10.7. d.J. hatte ich vor dem Sondergericht 5 Berlin Termin. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen. Bin noch nie vorbestraft gewesen, mit keinerlei Strafen. Trotzdem, ich auf dem Gericht die Wahrheit gesagt habe. Bin ich zum Tode verurteilt geworden. Ich habe mit 7 Personen unwiedernatürliche Unzucht getrieben.
Mein Führer! Ich bitte Sie daher aus aller tiefsten Herzen, mir nur noch einmal Glauben zu schenken, daß ich so was nie wieder vorkommen soll und mir bei meinem erstmaligen Straucheln, nicht zu eine harte Strafe geben. Daher möchte ich Ihnen um Ihre Gnade bitten um mir sündigen Menschen gnädig zu sein. Ich will und möchte doch nicht aus der Volksgemeinschaft ausgeschloßen werden, sondern

wieder eingereiht werden. und für den Sieg mitkämpfen zu dürfen. Wenn ich an die Strafe denke, die ich vom Gericht bekommen habe, fällt es mir sehr schwer, daß ich diesen Gang zu gehen habe. Darum habe ich mich an Sie gewandt und möchte Sie mein Gnadengesuch zu Ihnen senden, mit dem Versprechen, daß ich nie wieder so was machen will und mir diese zu harte Strafe, in einer andere Strafe umzusetzen zu wollen bitte ich Sie mein Führer, mir gnädig zu sein und Gnade walten lassen. Möge der Allmächtige mir geholfen haben, Ihnen mein Führer den Gnadengesuch zu Ihnen zu senden. Mit dem festen Vertrauen zu Ihnen will und bin ich gewillt in die deutsche Zukunft zu blicken, und nie wieder solche Sachen zu machen Ich bitte um Ihre Gnade.
gez.
Gefangener Ernst Hirning
Haus 3

Vermerken möchte ich noch das ich den Antrag stellen will, auf eine freiwillige Entmannung. Gleichzeitig bitte ich um Schrift und Fehler über sehen zu wollen, da dies in der Aufregung geschrieben wurde. Bitte um Entschuldigung.

Gnadengesuch von Ernst Hirning, 19. Juli 1943

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II, Nr. 1280/1

Gnadengesuch des Leiters der Hoffnungstaler Anstalten für Ernst Hirning, 19. August 1943

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 12 C Berlin II, Nr. 1280/1

Sterbeurkunde von Ernst Hirning vom 10. September 1943

Ancestry, Archiv zur Ahnenforschung

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